sophia teutonica

Mechthild von Magdeburg

BYU

 

Brigham Young University

College of the Humanities

 

© 2011

 

 

 

 

 

 

 

 

Auszüge aus: Das fliessende Licht der Gottheit

 

Einleitung

Dieses Buch sende ich nun als Boten allen geistlichen Leuten,

Beiden: den bösen und den guten.

Es ist nur ein Bild meiner selber

Und spricht hold mein Heimlichstes aus.

Man soll es freundlich annehmen:

Denn Gott selber spricht die Worte.

                 Eya, Herr! Gott!

                 Wer hat dieses Buch gemacht?

Ich,

Die ich von der Gnade, so mir verliehen ward, nicht schweigen konnte,

Ich habe es gemacht in meiner Ohnmacht.

Ich kann und will nicht schreiben!

Aber ich sehe das Herrliche mit den Augen meiner Seele

Und ich höre es mit den Ohren meines ewigen Geistes

Und ich fühle in allen Gliedern meines Leibes die Kraft des heiligen Geistes.

                 Eya, Herr!

                 Wie soll es, Dich zu ehren, heißen, dieses Buch?

Es soll heißen:

Ein Fließendes Licht Meiner Gottheit,

Entbrannt in allen reinen Herzen.

Dieses Buch hob an in der Liebe

Und in der Liebe soll es auch vollenden.

Denn nichts ist also weise

Noch also heilig

Noch also schön

Noch also stark

Noch also vollkommen

Als die Liebe.

 

Von dem Schreiber dieses Buches

Ehe denn ich dieses Buch begann, alle meine Lebtage, war ich der einfältigsten Menschen einer, die je im geistlichen Leben erfunden wurden, ob Gott gleich manches seiner Worte in meine Seele sprach. Von des Teufels Bosheit wußte ich nichts. Der Welt Krankheit kannte ich nicht. Auch Verrat geistlicher Leute hatte ich noch nicht erfahren.

Nun muß ich sprechen, um Gott zu ehren, und damit, was mich selber dieses Buch gelehrt hat, fruchtbar werde:

In meinem zwölften Jahre, als ich alleine war, kam der Strom des Heiligen Geistes über mich, und grüßte mich so ungestüm, dass ich mich von der Stunde an großer täglicher Sünde nicht weiterhin ergeben wollte. Der vielliebe Gruß kam täglich zu mir und tat mir süßes Weh der Liebe an (und noch heute wächst und blüht alle Tage aller Welt Süße und Herrlichkeit).

Dieses geschah mir vor einunddreißig Jahren.

Vom Göttlichen kannte ich nichts als unseren christlichen Glauben, und mühte mich, mein Herz zu läutern.

Gott selber wird Zeugnis für mich ablegen, dass mein Wunsch und Wille nie nach den Dingen stand, davon ich in diesem Buche geschrieben habe, und dass ich Ihn nie darum gebeten habe, sie mir zu gönnen.

Ich glaubte auch nie, dass Menschen solche Dinge geschehen können und erfuhr von dergleichen Sachen nie, solange ich bei meiner Sippe und meinen fremden Freunden lebte, die mich sehr lieb hatten.

Ich hatte aber schon lange verlangt, ich möchte, ohne schuldig zu werden, mich von der Welt abkehren.

Da brachte mich Gottes Liebe an einen Ort, wo niemand mein Freund war, außer einem einzigen Menschen. Vor diesem aber hatte ich Angst; ich fürchtete, er möchte mir die heilige Weltabgewandtheit und die lautere Liebe zum Göttlichen stören.

Aber Gott behütete mich und gab mir so süßes Entzücken, so herrliche Erkenntnis und Wunder so unbegreiflich, dass ich irdischer Dinge nur wenig genießen konnte. Er nahm meinem Geist sein Lager der Ruhe und geleitete ihn zu der Sphäre zwischen Himmel und Luft.

Da schaute ich mit den Augen meiner Seele in himmlischem Entzücken die schöne Menschheit unseres Herren Jesus Christus, und ich erkannte auf seinem herrlichen Antlitz die heilige Dreifaltigkeit, des Vaters Ewigkeit, des Sohnes Werk, des Heiligen Geistes Süße, und ich sah den Engel, dem ich in der Taufe befohlen worden war.

Und meinen Teufel, den sah ich auch.

Unser Herr sprach:

                 Ich will Dir diesen Engel nehmen

                 Und ich will Dir zwei Engel wieder geben,

                 Die sollen Dich in diesen Wundern behüten.

Da die Seele die beiden Engel ansah, o wie sehr erschrak sie in der Demut ihrer Schwäche. Sie beugte sich auf die Füße unseres Herren, dankte ihm und klagte, dass sie zu unwürdig wäre, so hohe Fürsten als ihre Diener anzunehmen.

Der eine Engel war von den Seraphim, und war ein Brand der Liebe und leuchtete herrlich der trüben Seele.

Der andere Engel war von Cherubim; er hütet der Gaben und befiehlt der Weisheit in der liebenden Seele.

Dann rief Unser Herr zwei Teufel, zwei große Meister aus Luzifers Schule. Da die Seele die furchtbaren Teufel ansah, erbebte sie etwas, freute sich aber unseres Herren und nahm sie gerne an.

Der eine Teufel geht in schönem Gewand des Engels und ist ein Betrüger.

O wie er sich mit List darum bemühte, mich zu verführen!

Einstmalen, während der Messe, kam er aus der Höhe hernieder und sprach:

                 Nun sieh doch, wie schön ich bin:

                 Willst Du mich nicht anbeten?

Die Seele antwortete:

                 Man soll Gott alleine anbeten, um alles Gute und in aller Not.

Er sprach:

                 Nun siehe doch hinauf, wer ich sei!

Und er ließ mich eine schöne falsche Klarheit schauen, mit der er manchen Ketzer verführt hat, und sprach wiederum:

                 Auf dem Throne sollst Du alleine die höchste Jungfrau sein,

                 Und ich werde der schönste Jüngling bei Dir.

Sprach wiederum sie:

                 Es wäre nicht weise, wer sich, ob sich ihm gleich das Beste anböte, das                  Verderbte nähme.

Da sprach er:

Nun, da Du Dich mir nicht geben willst, sehe ich, wie heilig Du bist, und will Dich, demütig, anbeten.

Sie sprach:

                 Dir wird nicht Gnade gegeben, wenn Du Abschaum anbetest.

Da zeigte er ihr, an seinen Händen und Füßen gebildet, die fünf Wunden und sprach:

Nun, siehest Du wohl, wer ich bin? Wenn Du meinem Worte gehorsam sein willst, werde ich Dich groß und herrlich vor den Leuten machen, und wenn Du ihnen von diesen Gnaden berichtest, wirst Du Gutes tun.

Die Seele hörte ihm zu, damit sei weiser davon werde, obwohl seine unfruchtbaren Worte sie gleich verdrossen und ungeduldig machten. Nun sprach sie:

Du bist also Gott, sagst du? Nun sage mir denn: wie heißest Du diesen, der des lebendigen Gottes Sohn in des wahren Priesters Händen ist?

Da wollte er flüchten und die Seele sprach:

Bei dem allmächtigen Gott mahne ich Dich: höre mich an. Ich kenne Deinen Willen wohl. Es würde mir vielleicht eine Weile behagen, allen Leuten mein Herz zu sagen. Aber Du würdest das Spiel spielen, um mich zu verderben, und mich in Zweifel und Traurigkeit und in Unglauben und in Unkeuschheit stürzen und, danach, in ewiges Herzeleid. Und darum wolltest du auch, dass ich mich für heilig halten soll. Doch Gott steht bei mir, Du uralter Verführer, und Du hast verloren!

Da rief er:

Wehe über Deinen Zauber, lass mich nun von Dir fahren, ich will Dich nicht mehr belästigen.

Der andre Teufel, der mir gegeben ward, ist ein Friedensbrecher und ein Meister der heimlichen Unkeuschheit. Selber zu mir zu kommen hat Gott ihm versagt. Er sendet mir aber verderbte Leute zu Boten, die mir gute Dinge verkehren und mit Worten meiner Ehre nehmen, was sie können. Er sucht auch stets gute Leute, wo sie beieinander sind, um sie zu solchen Dingen zu reizen, und sprächen sie da etwas Übles in unkeuscher Weise, so könnte ich Arme nicht ohne Trübsal bleiben. Aber das geschah mir nie.

Einmal des Nachts, als ich auf meinem Lager ruhte und im ersten Schlaf lag, da kam  dieser Teufel zu mir. Er kam daher gefahren durch die Luft, und schaute die Erde an und ihre Sünde. Er war groß wie ein Riese, er hatte einen kurzen Schweif und eine krumme Nase, sein Haupt war verunstaltet wie ein Zuber und aus seinem Munde kamen, in schwarze Flamme gehüllt, feurige Funken gefahren. Der Teufel lachte, hämisch in Zorn und mit furchtbarer Stimme.

Da frug ihn die Seele, worüber er denn lache, was er hier suche und was er wirke.

Er antwortete und sprach:

Ich freue mich, weil ich jetzt, da ich Dich nicht mehr quälen darf, so viele andere finde, die, obwohl sie gleich Engel zu sein scheinen, es gerne für mich tun und Dich peinigen. Siehe, ich bin ein Diener geistlicher Leute und ich belege sie mit zwei Arten von Krankheiten, durch die sie im Nu von Gott getrennt werden: entweder die heilige Unkeuschheit oder die heimliche Unkeuschheit.

Wenn ein Mensch in seinem Streben nach Heiligkeit über seine Notdurft hinaus Befriedigung seines Fleisches sucht, und mit aller Gier seiner Sinne danach verlangt, so wird er unkeusch, das heißt: er wird grob und nachlässig und seine Liebe zum Göttlichen wird kalt. [Das ist die heilige Unkeuschheit.]

Die andre Krankheit, sprach der Böse, ist verborgener Hass bei unverhohlener Zwietracht, der Grund und die Wurzel langer Bosheit und der Verlust aller Heiligkeit: das ist eine Sünde, die mir Frucht bringt und mein Gewinn ist, wo ich sie gewandelt finde. [Das ist die heimliche Unkeuschheit.]

Da sprach die Seele:

Da hast Du doch von Natur nichts Gutes an Dir. Und doch nützest du mir indem Du mir Deine List und deine Bosheit verrätst?

Antwortete wiederum er:

Gott hat mich so fest in seinen Händen, dass ich, wie ich mich auch wende, nichts tun kann, es sei denn, Er wiese mich dazu an.

 

Ich unseliger Mensch!

Zehn Jahre hätte ich dem Fegefeuer gehört,

Hätte ich mich da nicht zur Reue und Beichte gewendet;

So schwere Sünde hatte ich als junges Kind getan.

Nun, Lieber! Herr!

Um Dich zu lieben, will ich gerne noch darin leiden, wenn ich sterbe.

Das sprechen nicht meine Sinne,

Die Minne heißet michs.

 

Als ich zum geistlichen Leben kam und von der Welt Abschied nahm, sah ich meinen Leib an und fand ihn schwer in Waffen gegen meine arme Seele stehen, in großer Fülle, in starker Macht und in einer vollkommenen Natur-Kraft. Da sah ich wohl, dass er mein Feind war und erkannte: sollte ich dem ewigen Tod entgehen, so müsste es an ein Kampf gehen, ich müsste mich selbst niederschlagen.

Und dann sah ich die Waffen meiner Seele an - das heilige Leiden Jesu Christi, unsres Herrn - und gürtete mich damit.

Ich musste nun in ständiger Furcht und Zittern sein. Meine Feinde drangen böse mit Schlägen auf mich ein. Da war ein Seufzen, Weinen, Fasten, Wachen, zur Beichte gehen, mein Herz ergründen, Opfern und das Göttliche ansehen!

Dies waren die Waffen meiner Seele, mit denen ich den Leib überwand, so dass ich während zwanzig Jahren, müde, wund und krank ward, zuerst von Reue und Bekümmernis, danach vom herzlichem Verlangen und von geistlicher Arbeit. Und dazu lag ich manchen Tag in schwerem Siechtum meines irdischen Wesens.

Und dann kam die gewaltige Liebe! Sie verzückte mich so durch ihre Wunder, dass ich nicht davon schweigen durfte.

Es wurde mir aber Angst, weil ich meiner Einfalt dachte, und sprach:

Eya, milder Gott, was hast Du denn an mir gefunden? Du weißt wohl, dass ich töricht und ein sündiger und geringer Mensch bin, an Leib und an Seele. Diese Dinge solltest Du weisen Menschen geben und so möchtest Du darum gepriesen werden.

Da zürnte unser Herr wider mich Arme und wurde zornig und fragte und verlangte Antwort von mir:

                 Nun sage Mir, bist Du doch die Meine?

                 Ja, Herr. Und gib mir dass ich es bin.

                 Ich darf mit dir also verfahren, wie es mich verlangt?

Ja, Allerherzensliebster. Oh! Tu es mir! Und sollte ich daran zunichte werden.

Da sprach Unser Herr:

Du sollst Mir in diesen Dingen gehorsam sein und Dich hingeben. Und Du sollst lange wund sein und Ich selber will Dich pflegen. Und wessen Du bedarfst an Leib und an Seele, das will Ich Dir alles geben.

Da ging ich arme Bebende, demütig in Scham, zu meinem Beichtvater und erzählte ihm von diesem Gespräch und bat ihn, mir einen Rat zu geben.

Er sprach, ich solle es fröhlich vollenden. Gott hätte mich geheißen. Gott würde mich bewahren. Und er befahl mir - noch heute weine ich darüber und bin beschämt -, er befahl mir, einem schlechten Weibe (mein Herz weiß, wie gering ich bin), aus Gottes Herzen und Mund dieses Buch zu schreiben.

So also ist es aus Gott gekommen,

Dieses Buch der Liebe,

Und nicht eines menschlichen Herzens Traum.

 

Von Tränen der Liebe, die tausend Seelen aus dem Fegefeuer erlösten

Ein Mensch bat, voll von tiefem Verlangen und mit ungeschmückten Worten, für die armen Seelen Gott im Himmel-Reich.

Da zeigte ihm Gott ein fürchterliches Fegefeuer, und so viele Qual war darinnen, als an ihnen Sünde war.

Da ward so kraft-grimmig des Menschen Geist, dass er das ganze Fegefeuer mit seinen Armen umschloss. Und seine Liebe stieg bekümmert und verlangend auf zu Gott.

Gott sprach:

             Lass das! Tu Dir nicht weh! Es ist Dir allzuschwer!

Da sprach der Geist und klagte:

             Eya, Viellieber! Nun erlöse doch einige von ihnen!

Antwortete der Herr:

             Wieviele von ihnen willst Du denn?

Der Geist sprach:        

             Herr! Soviel ich mit Deiner Güte erkaufen kann.

Da antwortete unser Herr:

             Dann nimm Tausend und bringe sie, wohin Du willst.

Da hoben sie sich auf aus ihrer Pein: schwarz, feurig, brennend, voll von Gestanke und blutig, gleichwie aus einem Pfuhle.

Und da sprach wiederum des Menschen Geist:

Eya, lieber Herre mein: was soll diesen Armen nun geschehen? Denn da sie so Fürchterliches getan haben, kommen sie niemals in Dein Reich.

Da bog sich Gott mit Seinem edlen Wesen tief herab, dem Menschen zu, und sprach ein Wort, das uns Sündige wunderbar trösten soll:

In den Tränen der Liebe,

Die jetzt aus den Augen Deines Leibes stießen,

Darin sollst Du sie baden.

Da erhoben sich alle die Seelen und schwangen sich in eine weite Tiefe, die sich plötzlich aufgetan hatte, und wuschen sich in dieser Liebe, bis sie glänzend waren, gleich dem Licht.

Da überkam des Menschen Geist ein großes Glück und sprach:

Gepriesen seiest ewig Du, Viellieber, von allen Creaturen. Nun stehen sie Deinem Reiche wohl an.

Da bog sich unser Herr zu ihnen herab aus seiner Höhe und krönte sie mit einer Krone der Liebe, die sie aus der Tiefe erlöst hatte und sprach:

Diese Krone sollt Ihr tragen. An der Krone werden Euch alle in Meinem Reich erkennen als diejenigen, die durch Tränen der Liebe erlösten wurden, erlöst neun Jahre vor des Gesetzes Zeit.

Da standen sie alle auf und erhoben sich und flogen, weißer als Schneeflocken, in einem süßen, hellen Glanz in das Paradies und ruhten fröhlich darin.

 

 

Wie die Liebe die stumpfen Seelen unterweist und fragt und sie gerne zu ihrem Lieben brächte. Die Liebe spricht und die stumpfe Seele antwortet.

Die Liebe:

Ei, du törichte Seele, wo bist Du? Oder wo ist Dein Haus? Für wen lebst Du? Du ruhst? Willst Du nicht Deinen Willen und Deine Macht von Dir abtun und lieben lernen? Deinen wunderbaren Gott lieben ?

Seele:

Lass mich. Weck mich nicht auf. Ich weiß nicht, was Du da sagst.

Die Liebe:

Wenn ihr König kommen will - muss man dann die Königin nicht wecken?

Seele:

Ich bin Mitglied eines heiligen Ordens. Ich faste. Ich wache. Ich habe keine Todsünde begangen: so bin ich genug gebunden.

Die Liebe:

Was hilft es, dass man ein Fass fest bindet, ein schlechtes Fass, wenn doch der Wein daraus rinnet? Also muss man es mit den Steinen der äußeren Werke füllen, und mit der Asche der Vergänglichkeit.

Seele:

Ich lebe mit meiner Familie und mit meinen lieben geistlichen Freunden. Befriedet. Den ich nicht erkenne, wie kann meine Lust ihn lieben?

Die Liebe:

Dessen Name oft vor Dir gerufen wird, o weh! den Herren kannst Du nicht erkennen? Aber Dein hündischer Leib bekümmert Dich. Das bringt Dir kleine Ehre vor Jesu, Deinem süßen Herrn.

Seele:

Ich lebe meinem eigenen Willen; den will ich gern vollbringen.

Liebe:

Willst Du Gott Treue leisten, sollst Du, Ihn liebend, folgen Seinem Geiste.

Seele:

Ich ruhe in der Welt meines Leibes.

Liebe:

Des solltest Du Dich vor Gott schämen. Trägst Du geistlichen Namen und tust freundlich mit Deinem Leibe?

Seele:

Wenn ich mich mit Dir beschwere: wer gibt mir, daß ich mich nähre?

Liebe:

Eya, Ungetreue! der Deine Seele also edel hat gemacht, daß sie nicht andre Speise nehmen mag denn Gott, wird ihrem Leib auch seine Speise geben.

Seele:

Du schiltst mich sehr. Wüßte ich, wo er wäre, leicht, ich würde mich noch bekehren.

Liebe:

Willst Du bei Ihm wohnen in edler Freiheit, so mußt Du eh räumen Dein Haus der bösen Gewohnheit.

Seele:

O weh! daß er sich ruhte in die Gewalt der nackenden Liebe, tut mancher nicht, so unterwiesen ist und weise durch eine hohe Vernunft.

Liebe:

Aber den einfältig Reinen, die lauter in all ihrem Tun Gott meinen, diesen muß Gott Seine Natur zuneigen.

Seele:

Ich wähnte, wenn ich mich um Gott der Welt begäbe, wäre ich sehr hoch gestiegen?

Liebe:

Was hilft, daß man einen schlafenden Mann in schönes Gewand kleidet? Was hilft, daß man ihm edle Speise aufträgt, dieweile er schläft? Könnte der Schlafende seine Lust daran büßen?— Eya! Liebe! laß Dich wecken?

Seele:

Eya, nun sage mir, wo Seine Wohnung sei?

Liebe:

Kein andrer Herr, der in allen Seinen Häusern wohnte denn alleine Er. Er wohnt in dem Frieden einer zauberischen Lieblichkeit und flüstert Liebe in die tiefe Einsamkeit der Seele. Er umhalset sie mit der sanften Lust Seiner Liebe. Er grüßt sie mit Seinen zärtlichen Augen. Er durch - küßt sie mit Seinem göttlichen Munde. Eya wohl Dir! mehr denn wohl der überherrlichen Stunde! Er schließt inbrünstig Seine Arme um sie in dem Bette der Liebe. Und sie erfährt die tiefste Lust und sanftestes Weh, nun, da sie Ihn erkennt.

Seele:

Eya Liebe, nun laß Dich lieben und sträube Dich nicht mit Zorne. — Wie sind, die sich mit Zorne sträuben? Liebe: Das sind, die andre Leute und sich selber mit ihrer Bosheit beschweren. — Nun sage ich Dir, wer Er sei: Er ist höher als das Aller-Höchste, und selbiger hohe Höchste hat sich geneigt in das allerniederste Tal, und dieses allerniederste Tal ist aufgestiegen in das allerhöchste Hohe. — Stumpfe Seele, sieh Dich um und um und tu die blinden Augen auf.

Seele:

Ist Er aus der höchsten Höhe um meine Liebe in die Tiefe gestiegen und hat sich gänzlich mir mit aller Creatur gegeben — ja, wollte Er mir Seine Gnade nicht nehmen, so wollte ich mich vor Seinen Augen schämen, daß ich mein schlechtes Kupfer um Sein teures Gold wollte geben. O weh, wo bin ich gewesen, ich unselige Blinde! Oh! daß ich so lange fremd der starken Liebe lebte, die mir wahrlich alle meine Not, meiner Feinde mächtig, überwände. Nun ich Arme Gutes viel versäumt, will ich doch noch allen Dingen fort und zu Gotte gehn. Eya Liebe! willst Dich meiner noch annehmen?

Liebe:

Ja. Gott hat sich Keinem versagt. Das ist gleich Gewicht: Willst Du Liebe haben, mußt Du Liebe lassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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